Duft der Zeit

Ein philosophischer Essay zur Kunst des Verweilen
// Byung-Chul Han

Un-Zeit

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„Der Zeit fehlt ein ordnender Rhythmus.
Dadurch gerät sie außer Takt.

In Hans Augen ist die Beschleunigung bereits vorbei. Das Empfinden, dass sie noch aktuell ist, beschreibt er als Symptom der temporalen Zerstreuung (Dyschronie). Die Erfahrung von Dauer in Form der Zeit und des Verweilen ist heute kaum bis gar nicht möglich. Die Zeit als solche hat keinen Halt mehr, keinen Rhythmus und ist richtungslos. Die Beschleunigung setzt gerichtete Fließbahnen voraus, welche in der heutigen Zeit nicht gegeben sind. Unsere Gegenwart reduziert sich nur noch auf die Aktualität, denn sie dauert nicht mehr lang an, vergeht schnell und verliert an Substanz. Diese schwindende Dauer wird hier als „Gegenwartsschrumpfung“ betitelt. An dieser Stelle wird auch auf den Unterschied zwischen Erfahrungen und Erlebnissen eingegangen. Während Erfahrungen bzw. Erkenntnisse zeitintensiv sind, da sie einen weiten Zeitraum umfassen, sind Erlebnisse hingegen zeitarm und punktuell. Wichtig ist, dass bei Erkenntnissen die Vergangenheit und die Zukunft eine bedeutende Rolle spielen und sich zwei Zeithorizonten verschränken. Die Kenntnis wird zur Erkenntnis. In unserer heutigen Un-Zeit, so wie Han sie beschreibt, strebt die Gesellschaft kaum mehr nach Erfahrungen, sondern nach extrem vielen Erlebnissen, um eine Fülle an Ereignissen zu erlangen. Doch ein erfülltes Leben lässt sich nicht mengentheoretisch erklären – Erfüllung ist somit nicht kongruent zur Fülle an Ereignissen.

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