// Pierre Bertaux
Auszüge aus folgenden Kapiteln:
// Die Welt der Töne
// Das Wort
// Die Sprache
// Eidetisches, nichtlineares Denken
// Parataktisches Denken
// Das Komponieren
// Das Skizzenhafte
// Das Schweigen
1
„Des Menschen Wesen und Wirken ist Ton, ist Sprache.
Musik ist gleichfalls Sprache.“
Der Ton bedeutet Bewusstsein und Leben, er spricht das Dasein aus und führt zu einer eigenen Stimme. Sofern Gedanken ausgesprochen werden und ihre Stimme erhalten, bewahrheiten sie sich, haben Kraft und Nachdruck – sie bekommen eine Präsenz. Das Wort ist der Träger eines Inhaltes und/oder Sinnes, ganz gleich ob es gesungen oder gesprochen wird. Somit ist die Sprache eine Gattung des Gesangs und ihr Ursprung. Poesie bedeutet für ihn (Sprech-)Gesang und eine dadurch entstehende Melodie. Ton, Sprache und Musik stehen im Einklang.
Ferner wird zwischen Dichtern und Denkern unterschieden. Letztere zeichnen sich durch die Aneinanderreihung von Begriffen in „folgerichtiger“ Zusammenfügung aus. Sie folgen dem „logos“, einem linearen, diskursiven, prosaischen und konsequenten Denken. Konsequent beinhaltet hier die zeitliche Sequenz und die Linearität. Bertaux vergleicht diese Art mit einer „[…] Perlenkette […], bei der die Schnur die Perlen zusammenhält. 2 Dies alles fällt unter den Begriff hypotaktisches Denken zusammen.
Dem gegenübergestellt wird das poetische Denken/Dichten, welches hier als eidetisches Denken bezeichnet wird. Sie beschreibt das Denken in Bildern und ist die Urform des Denkens. Dabei werden die Verbindungen zwischen einzelnen Bildern durch eigene assoziative Gesetzmäßigkeiten, also ganz frei vom logos, geschaffen. Hölderlin bewegt sich in seiner Dichtung durchweg im parataktischen Denken, bei dem Satzelemente nebeneinander gestellt werden.
3
„Da wird der Geist Euch wohl dressiert,
In spanische Stiefel eingeschnürt, […]
Das Erst‘ wär so, das Zweite so,
Und drum das Dritt‘ und Vierte so,
Und wenn das Erst‘ und Zweit‘ nicht wär‘,
Das Dritt‘ und Viert‘ wär‘ nimmermehr.“
Heutzutage fällt es den Menschen schwer, die poetische Logik als eine Form von Logik zu akzeptieren. Sie sollten sich vom Versuch, ihre Gedanken permanent zu linearisieren, freimachen. Anders zu denken bzw. das Denken über-
haupt zu lernen wird hier angestrebt.
4
„Musikhaft ist die Verwandlung der Sprache in eine Reihung,
deren Elemente sich anders verknüpfen als im Urteil.“
Die semitische Sprache baut auf ein Konsonantengerüst auf, bei dem sämtliche Vokale ausgelassen werden. Die Satzglieder und Wörter sind unverbunden, also parataktisch. Durch die subjektive Vorstellung im Geist des Individuums und der Erwartungshaltung gegenüber der Aussprache und dessen Klang, wird der Leser von der Passivität des bloßen Aufnehmens befreit und aktiv in das Lesen eingebunden. In der westlichen Sprache hingegen werden die Artikulationen des Denkens syntaktisch festgelegt – das ist Bedingung, damit der Verfasser von seinen Lesern überhaupt verstanden wird.
Wie bereits zu Beginn erläutert, erkennt Hölderlin klare Parallelen zwischen der Musik und seiner Dichtung. Die Wortgruppen seiner Poesie sollen sich beim Leser in Klang als auch in Bild wandeln, sprich in Ton und einer optischen Vorstellung. Die Musik sowie seine Dichtung spielen sich nicht in einer linearen Zeitdimension ab. Die Zäsur zum Beispiel, „[…] des für einen Augenblick aufgehobenen Ablaufs des zeitlichen Geschehens […]“ 5, verwendet Hölderlin auch bewusst in seiner Poetik.
6
„Irgend etwas – man weiß nicht, was es ist –
fällt in uns hinein – man weiß nicht woher –,
dort wächst es – man weiß nicht wie –,
zu einer klingenden Form –
man weiß nicht warum.“
Das Schweigen, oder auch das bewusste Pausieren, nehmen eine wichtige Rolle ein. Während in der Prosa das Schweigen eine negative Konnotation aufweist, weil sie mit dem Unterbrechen von Kommunikation und der leeren Zeit in Verbindung gebracht wird, werden in der Musik Pausen bewusst gesetzt und auch gespielt. Denn in ihnen bewahrt sich ein konkreter poetischer Wert – das ist dichte, ausgefüllte Zeit, die im klaren Kontrast zur leeren Zeit steht. Unaussprech- oder spielbares wiegt mehr als alles Sagbare und ist daher von so enormer Bedeutung. Somit bedeutet Schweigen in diesem Zusammenhang gar nicht das Verstummen oder die Stille im klassischen Sinne. Schweigen gilt laut Bertaux als „originellster und bezeichnendster Äußerung moderner Geisteshaltung.“ 7
8
„Das Unausgeführte sagt alles,
und viel mehr als das.“
9
„Die Sprache ist ein großer Überfluss.
Das beste bleibt doch immer für sich und ruht in seiner Tiefe,
wie die Perle im Grunde des Meeres.“