Das alternative ABC der neuen Medien
// Roberto Simanowski
1
„Das Problem ist, dass er [der Augenblick] nicht einmal
mehr als Moment des intensiven Selbstgenusses taugt.“
Durch die Schnelligkeit der Dinge im Internet haben wir weniger Zeit für das Komplizierte, denn diese benötigen Zeit. Und „Zeitfresser“ werden in der Gesellschaft so gut wie es geht umgangen.
Das Smartphone delegiert als digitales, externes Speichermedium, welches „voll von fotografischen Zeugen schöner Momente“ 2 ist. Ganz nach dem Motto Picture or did’nt happen etabliert sich eine Beweis-Kultur, in der das Foto als Bestätigung des Ereignisses fungiert. Dabei steht nicht unbedingt das Foto für das Individuum im Vorder-
grund, sondern eher das Sich-Beweisen-Müssen für das eigene soziales Umfeld. Das Foto als das Medium des Erinnerns weicht dem des Beweisens.
3
„Diese Auslagerung des Erinnerns aus Archiv bedeutet
die Ersetzung der persönlichen Beziehung zum Geschehen
durch die neutrale Registrierung des Vergangenen,
die neutral ist, weil sie leidenschaftslos ist,
und gerecht gegenüber den Details,
weil sie keinen narrativen Plan hat.“
Dadurch, dass die Menschen mittels digitaler Medien leben, leben sie eher in einer Art Archiv, denn die Grund-
einstellung heißt: Bewahren und Festhalten. Mit einem Klick werden Daten direkt abgespeichert und einem bunten Allerlei zunächst gleichbedeutend zugeordnet. Die Erinnerung wird direkt ausgelagert, lediglich das Speichern des Sich-Ereignet-Haben findet (bedeutungslos) statt. Dinge werden in keinerlei Verhältnis gesetzt – es entsteht ein
Medium des Vergessens. Nur die Zerstörung des Archivs fördert die Rückkopplung zum eigenen Gedächtnis und ermöglicht damit eine Besinnung seines selbst, sodass das Individuum im Augenblick tatsächlich geistig anwesend sein und den Moment selbst erfahren kann.
Weiter eingegangen wird auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Haikus und Fotografie. Während die Fotografie lediglich zeigt und abbildet, möglicherweise auch zu viele Informationen preisgibt, zeigt und sagt der Haiku das, worauf es ankommt. Es sagt mehr als die bloße Situation eines Fotos und beschränkt sich auf die Kernaussage der Momentaufnahme. Simanowski beschreibt diese Art der Beschreibung als authentischer. Die Fotografie hält den Moment zwar fest, zeigt aber mehr als nötig und der Sinn sei nicht inbegriffen.4 Die Erkenntnis sei bei denen, die das Foto beschreiben und nicht fotografieren, da sie den Moment in das Bewusstsein bringen und reflektieren.
5
„[…] weil eben das Vorhandensein objektiver
Abbilder der Realität noch keine Einsicht bedeutet.“
Der Moment wird an die Kamera abgegeben, anstatt ihn bewusst zu erleben und zu verarbeiten. Die sinnliche Wahrnehmung wird dadurch teilweise ausgeschlossen. Indem das Foto zum Wort wird, wird die Sprache als Medium verdrängt. Sie dient eigentlich dazu, von der Welt Distanz nehmen zu können, damit man sie klarer sieht und versteht, um persönliche Erkenntnisse zu gewinnen.
6
„Man macht ein Foto, statt nach Worten zu suchen,
die das, was man fühlt, beschreiben würden.“