// Experiment Nr. 3 – Methodiken für Analyseschemen
1 – PROJEKTIDEE
Um meiner Fragestellung auf den Grund zu gehen und unterschiedliche Methoden anwenden zu können, benötigt das Experiment eine feste Konstante, die für Vergleiche/Messungen etc. notwendig ist. Diese liegt in einer festgelegten Route, welche die Probanden alle laufen müssen. Es handelt sich dabei um einen LOOP, also einer Route mit gleichem Start- und Zielpunkt.
Alle teilnehmenden Personen müssen diese vorgeschriebene Route nach einer genauen Wegbeschreibung gehen, i.d.R. alleine, ohne den Hintergrund dieses Experiments zu wissen. Die Wegbeschreibung wird erst ausgehändigt, sobald der Teilnehmer den Rundgang startet. Nach der Rückkehr wird sie sofort eingesammelt, damit es bei späteren Rückbezügen keine Gedächtnisstützen für den Teilnehmer gibt. Auch Hilfsmittel wie GPS-Tracking, GoogleMaps o.ä. sind verboten, da sämtliche Ergebnisse somit verfälscht werden würden.
Relevante Zeiträume
Speziell die Zeiträume vor und nach dem LOOP stehen in besonderer Relevanz.
- Inwiefern beeinflusst die Grundstimmung vor bzw. nach der Aktion das subjektive Zeitempfinden?
- Welche Handlungen greifen maßgeblich ein, welche nicht?
- Oder sind sämtliche vorausgegangenen Geschehnisse irrelevant und das Empfinden wird gar nicht gestört, weil es sich punktuell, aus der Aktion heraus festmachen lässt?
- Nehmen wir unsere Umgebung anders wahr, wenn wir unter Zeitdruck stehen oder gestresst sind?
- Können wir uns überhaupt auf das Hier und Jetzt konzentrieren, wenn wir mit den Gedanken schon zwei Stunden in der Zukunft sind?
Mit diesen Fragen im Hinterkopf sollen die Ergebnisse dieser Fallstudie genaustens analysiert und hinterfragt werden.
Stimmungen
Besonders bei der Thematik des subjektiven (Zeit-)Empfindens müssen die unterschiedlichen Stimmungslagen jeder einzelnen Person genau beobachtet, analysiert und festgemacht werden. Ist jemand extrem müde und erschöpft, so liegt die Vermutung nahe, dass ein Weg mit bspw. Steigungen und Gefällen der Person schwerer fallen, träge und langwierig vorkommen wird als jemandem, der sich unbeschwert und fröhlich der Situation stellt.
In dieser Untersuchung werden folgende Stimmungslagen und Gemütszustände berücksichtigt:
- fröhlich
- niedergeschlagen
- lustlos
- müde
Zeitangaben
Auch falsche Versprechungen sollen als Methode getestet werden.
- Ist die grundlegende Herangehensweise möglicherweise ausschlaggebend wie die Situation letztendlich (subjektiv) bewertet wird?
- Macht es einen Unterschied, ob der Teilnehmer mit der Einstellung an die Aufgabe herangeht, der Weg gehe 10 Minuten, in Wahrheit bedeutet die Route aber einen Zeitaufwand von einer Stunde?
- Und wie ist es bei Personen, die eine Stunde einkalkulieren, aber nach 10 Minuten wieder an ihrem Ausgangspunkt sind?
Belohnungen
Ähnlich scheint der Umgang mit Belohnungen beim Eintreffen ins Ziel zu sein, einer analogen Art zu falschen Versprechungen.
- Inwiefern wird das subjektive Zeitempfinden eines Probanden beeinflusst, wenn er am Ende seiner Route mit einer leckeren Pizza rechnet oder gar mit einer belohnt wird, sobald er den Weg abgeschlossen hat?
- Beeinflusst nur der Gedanke einer Belohnung das Zeitempfinden, weil wir auf etwas (erfreuliches) hinarbeiten?
2 – UMSETZUNG DES PROJEKTS
Wegbeschreibung
Start
- Vor dem Spielplatz bzw. hinter der Eishalle rechts gehen.
- Dem Weg um den See herum folgen.
Wenn du auf der anderen Uferseite den Bootsverleih siehst und an einer Bank vorbeigehst, die links neben dem Weg steht, nimmst du die nächste Abzweigung nach links (an einem DiscGolf-Korb). - Geh rechts an eine Tümpel herum, an dem Häuschen vorbei und rechts am Zaun entlang. Folge dem Weg. Lauf geradeaus am Tümpel vorbei bis zur nächsten
Querstraße (links siehst du eine Rutsche). - Bieg rechts ab und lauf am Eingang des Klettergartens vorbei.
- Geh bei der nächsten Möglichkeit links (noch vor dem Häuschen), geh geraude- aus, an dem Häuschen links vorbei und halte dich an der Gabelung links.
- Sobald du rechts am Gehwegrand einen Mülleimer siehst, gefolgt von einer kleinen Baumgruppe, läufst du dahinter rechts den Hügel hinauf zum Mülleimer, der sich auf der Kuppe befindet. Dabei musst du den gepflasterten Weg verlassen und querfeldein gehen.
- Wenn du oben angekommen bist, gehst du links den Hügel wieder hinunter in
Richtung Mülleimer, den du schon von oben auf der Kuppe siehst (parallel zum gepflasterten Hauptweg). - Schlag deinen Weg links ein, gelang zurück auf den Hauptweg und folge dem Weg bis zur nächsten Querstraße. Hier biegst du rechts ab, halte dich an der nächsten Gabelung links und folge weiter dem Weg.
- An der nächsten Kreuzung nimmst du den Weg ganz links, am Spielplatz vorbei.
- Lauf rechts runter zum Wasser, am Ufer entlang über den Steg zum befestigten Weg.
- Bieg am Mülleimer links ab und lauf geradeaus zu deinem Startpunkt zurück.
Ziel
Ablauf
Der jeweilige Proband wird von mir zum Startpunkt geführt und bekommt erst dort eine ausgedruckte Wegbeschreibung. Ohne zu wissen, worauf das Experiment abzielt, läuft er den vorgeschriebenen Weg ohne Begleitmaterial in seinem eigenen Tempo. Vorab wird jedem Probanden ein eigenes Profil definiert und zugeteilt, in dem ausschließlich für mich einsehbar ist, mit welchen Voraussetzungen er den Rundgang angeht (s.o. Stimmung, Zeitangaben, Belohnung etc.; näheres unter 3 – Ergebnisse). Wird der Spaziergang gestartet, beginnt sogleich die Zeitmessung. Sobald die Person nach dem Rundgang zum Ausgangspunkt zurückkehrt, wird die Zeit gestoppt, der Wert notiert und die Wegbeschreibung eingesammelt. Im direkten Anschluss wird der Proband darum gebeten, aus seinem subjektiven Empfinden heraus den gelaufenen Weg als Skizze auf das Papier zu bringen. Dabei wird ihm nur ein Versuch gewährleistet. Für den Probanden ist nach Abgabe seiner Zeichnung das Experiment abgeschlossen. Wichtig ist, dass die einzelnen Testpersonen nicht miteinander in Kontakt kommen, um sich auszutauschen oder in das Experiment eingeweiht zu werden. Jede Person muss unvorbelastet sein und nichtsahnend den Versuch angehen.
Werkzeuge
Da die gelaufene Route direkt nach dem LOOP auf das Blatt gebracht werden soll, stehen den Teilnehmern ein einzelnes Blatt Papier für nur einen Versuch der Visualisierung, eine feste Unterlage zur besseren Stabilisierung und jeweils ein Textmarker zur Verfügung. Jeder bekommt seine eigene Farbe zugewiesen. Diese Einteilung sieht folgendermaßen aus:
Textmarker eignen sich hervorragend, um die Subjektivität jedes einzelnen Teilnehmers zu unterstreichen. Sowohl die Leichtig- oder Schwierigkeit des Weges, als auch Denkpausen/Verzögerungen beim Rückblick auf die Strecke lassen sich durch die den gewählten Duktus, das Neuansetzen des Markers und die Intensität der Farbe für einen Außenstehenden sehr gut nachvollziehen.
3.1 – ERGEBNISSE
Schritt 1 // Zeichnen der Route
3.1 – ANALYSE & AUSWERTUNG
Schritt 1 // Zeichnen der Route
Um bessere Vergleiche der Ergebnisse zwischen allen Zeichnungen festzumachen, wurde das Augenmerk auf drei relevante Punkte gerichtet, die Teilabschnitte des Rundgangs sind. Dabei handelt es sich um folgende:
- See
eintöniger Weg; fast komplett um einen Tümpel herum; bis auf den Bootsverleih kaum bis gar keine ablenkenden Elemente auf dem Teilabschnitt - Berg
starke Steigung beim Erklimmen und Gefälle beim Abstieg; abseits des gepflasterten Weges feldeinwärts - scharfe Kurven
mehrere Abbiegungen, welche in scharfen Winkeln unter 90 Grad abzweigen
Diese drei Abschnitte dienen als wichtige Parameter, um Vergleiche, Unterschiede und/oder Parallelen zum subjektiven Empfinden der Probanden zu ziehen.
Sabrina
Sabrina ist der erste Proband gewesen und ist mit dem Gedanken gestartet, der Rundgang gehe rund 10 Minuten. Interessanterweise hat sie die größte aller Zeichnungen angefertigt und das A4 Blatt Papier am meisten ausgefüllt. Dies wäre ein erster Ansatz zu sagen, dass ihr der Weg doch insgesamt sehr lang vorgekommen ist. Anhand des Duktus lässt sich feststellen, dass Sabrina beim Zeichnen ihrer Skizze einige Male nachdenken musste, da ihre Denkpausen anhand vom Neuansetzen des Markers und stellenweise von intensiven Färbungen des Duktus nachvollziehbar sind. Ebenso wirkt die Stiftführung durch Unebenheiten vage.
Rund ein Viertel der Strecke teilt Sabrina dem See zu, der tatsächlich aber die Hälfte der Strecke ausmacht – d.h. die zweite Hälfte des Rundgangs empfand sie als eine viel längere Etappe, möglicherweise sogar als schleppend. Der Berg wird nicht als anstrengend empfunden, da er im Verhältnis nicht groß gezeichnet wurde. Auch die scharfen Kurven wurden nicht aufgegriffen, sie wurden lediglich als einen runden Bogen dargestellt.
Insgesamt wird deutlich, dass Sabrina der Streckenabschnitt hinter dem See, noch extremer aber nach dem Berg, äußerst lang vorgekommen ist. Dies lässt sich mit der Erwartung Sabrinas, der Weg dauere nur 10 Minuten, in eine klare Verbindung stellen. Die charakteristischen scharfen Kurven werden bis auf drei rechtwinklige Abbiegungen nicht als solche wahrgenommen – womöglich, weil sie sich gefragt hat, wann der Weg sich endlich dem Ende neigt und sie zum Zielpunkt kommt.
Für den Loop hat Sabrina 28 Minuten benötigt.
Lara
Bei dem zweiten Teilnehmer handelt es sich um Lara. Ihr wurde vor Antritt des Rundgangs gesagt, der Weg gehe 60 Minuten und wäre äußerst eintönig und langweilig. Prägnant an ihrer Zeichnung ist, wie wenig Raum sie ihrer Zeichnung gibt und nur einen relativ kleinen Teil des Papiers ausnutzt. Auch ihre Strichführung wird durch Unebenheiten gekennzeichnet, sodass eine hohe Reflexion ihres subjektiven Empfindens ablesbar ist.
Zu sehen ist, dass Lara dem See eine Gewichtung von rund einem Drittel gewährleistet. Die Strecke hinter dem See bis zum Berg wird als knapp empfunden, der Abschnitt hinter der Steigung dehnt sich jedoch stark aus. Der Berg selber gewinnt in ihrer Zeichnung durch die Größenverhältnisse eine höhere Gewichtung als er tatsächlich einnimmt.
Während die knapp ersten zwei Drittel der Skizze eine dynamische Strichführung aufweisen, flacht diese im letzten Drittel stark ab. Geprägt von Einfältigkeit und Monotonie zeigt der Streckenabschnitt nach der scharfen Kurve einen einheitlichen Duktus in der Strichstärke und deutet darauf hin, wie langweilig ihr der letzte Streckenabschnitt vorgekommen sein muss. Lediglich eine der vielen scharfen Kurve wird in der Skizze verzeichnet, der übrige Teil ist beinah eine einzige Linie. Auf diesem Teilabschnitt ist nach Laras Empfinden nichts (prägnantes) passiert. Auch hier lässt sich die Vermutung anstellen, dass dies mit der vorgegeben zeitlichen Erwartung von 60 Minuten in Verbindung steht.
Für den Loop hat Lara 25 Minuten benötigt.
Sabrina vs. Lara
Unverkennbar sind die Größenunterschiede der einzelnen Zeichnungen. Eindeutig wird hier der Zusammenhang zur zeitlichen Erwartung, bevor beide den Weg angegangen sind. Sabrina ist davon ausgegangen, in 10 Minuten wieder am Startpunkt zu sein, hat tatsächlich aber 28 Minuten gebraucht – dementsprechend kam ihr der Weg äußerst lang vor. Lara hingegangen hat mit einer Dauer von 60 Minuten gerechnet und war nach weniger als der Hälfte der Zeit bereits zurück am Startpunkt. Für sie ging der Loop vergleichsweise schnell vorüber.
Während Sabrina laut ihrer Zeichnung ein Viertel der Strecke um den See gelaufen ist, waren es bei Lara nur ein Drittel. Tatsächlich macht der See aber knapp die Hälfte des Rundgangs aus. Damit ordnet Lara die Längen-
abschnitte der Strecke im Vergleich zu Sabrina etwas besser ein.
Genauso wie Lara vernimmt Sabrina nach dem See eine deutliche Rechtskurve, die bei der tatsächlichen Route gar nicht vorhanden ist.
Die Anstrengung, den Berg hoch und anschließend wieder runterzulaufen, wird von beiden nicht als besonders belastend gesehen. Sie nehmen nur kleine Teilabschnitte ein. Dennoch räumt Lara diesem Parameter ein größeres Verhältnis ein als Sabrina.
Bis zur ersten scharfen Abzweigung nach dem Berg, die von beiden wahrgenommen wird, lassen sich viele Parallelen im subjektiven Empfinden aus den Zeichnungen vernehmen. Danach verlieren sich bei Lara sämtliche Details, während Sabrina den Weg noch als kurvig wahrnimmt, aber kein Auge für die scharfen Kurven hat. Lara macht den Anschein, als würde sie zum Ziel hetzen und die Strecke streng durchlaufen. Sabrina hingegen „bummelt“ und verliert durch den kurvigen Verlauf des Weges Zeit. Der Abschnitt verläuft schleppend.
Denise
Denise hat als dritte den Rundgang gestartet. In ihrem Profil wurde festgelegt, dass sie mit einem Essen belohnt wurde, sobald sie die Route abgeschlossen hatte. Die Zeichnung hat eine mittlere Größe und wurde zentriert auf das Papier gezeichnet. Allgemein hat dieser Proband den Stift beim Zeichnen der Route nicht häufig neu angesetzt, sondern bis auf die Zone der Steigung und des Gefälle eine durchgehende Strichführung gehabt. Die Zeichnung wirkt weniger zaghaft als die beiden vorherigen.
Ähnlich wie bei Sabrina hatte Denise das Gefühl, dass das Umlaufen des Sees rund ein Viertel der gesamten Strecke ausmacht. Auch der weitere Verlauf bis zum Berg ist subjektiv empfunden nur ein kleiner Abschnitt. Alles nachfolgende bildet die zweite Hälfte ihrer Zeichnung.
Interessant bei Denise ist, dass die Steigung, den Berg hochzulaufen, durch die verkürzte Strichführung in der Skizze als geringere Belastung gesehen wird, als den Berg hinunterzugehen. Obwohl der folgende Abschnitt wesentlich mehr Abbiegungen, Kurven etc. aufweist als der Seeumlauf, verliert dieser viele detaillierte Informationen. Denise Strichführung wirkt in diesem Teil konstant grob. Möglicherweise lässt sich hier eine Brücke zur Belohnung bei Zieleintritt schlagen, sodass die Aufmerksamkeit vom Weg abgeschweift ist.
Für den Loop hat Denise 30 Minuten benötigt.
Nadja
Als vierte durfte Nadja das Experiment starten und war mit ihrem Hund unterwegs. Sie war die einzige aller Probanden, welche es nicht geschafft hat, den Weg der gelaufenen Strecke als Loop darzustellen. In ihrem Kopf ergab die Strecke keinen Sinn, wenn sie zwanghaft versuchte, Start- und Endpunkt zusammenzulegen. Auch ihre Zeichnung war zentral auf dem Blatt Papier positioniert und von ähnlicher Größe wie Denise’s. Generell wirkt ihre Art der Zeichnung detaillierter als die restlichen, dadurch aber auch automatisch filigraner, brüchiger und zager. Dennoch setzt sie kaum den Marker ab und korrigiert ihre Strichführung.
Den See setzt Nadja in ein Verhältnis von 1:4 im Bezug zur gesamten Strecke, wenn nicht sogar noch kleiner. Diesen Abschnitt nimmt sie dementsprechend als kurz, möglicherweise auch als angenehm wahr, weil er in der Realität vom Verhältnis doch doppelt so lang ist. Der Berg selbst liegt im Größenverhältnis nur etwas unter dem des Sees und verdeutlicht, dass beide Parameter ähnlich empfunden wurden. Dabei hat der See einen viel höheren Stellenwert bei der Länge des Streckenabschnitts. Rund ein Drittel nimmt der letzte Streckenabschnitt nach dem Gefälle bis zum Ziel ein. Besonders der Teilabschnitt hinter der scharfen Kurve bis zum Ziel wirkt durch die eintönige und lange Strichziehung langatmig und schleppend.
Die steile Rechtskurve, welche Lara, Sabrina und Denise nach dem See verspürt haben, nimmt Nadja in der Art und Weise so nicht wahr. Auch das Bewusstsein für die vielen detaillierten Schwünge, Abbiegungen und Kurven zwischen See und Berg zeigt Nadja im Gegensatz zu den anderen Probanden in ihrer Zeichnung auf. Nadja ist zu dem Zeitpunkt auch die einzige Probandin, welche die scharfe Kurve zwischen See und Spielplatz bewusst erlebt. Möglicherweise hat der Spaziergang mit dem Hund ihr dazu verholfen, öfter zu verweilen und die Umgebung auf sich wirken zu lassen. Durch die Zwangspausen beim Gassigehen kann die Umwelt besser auf das Individuum einwirken und auch die Person selbst hat einen intensiveren Blick auf seine Umgebung.
Für den Loop hat Nadja 45 Minuten benötigt.
Marco
Als letzter Proband ist eine männliche Person angetreten. Marco ist als einziger den Weg in Begleitung einer anderen Person und abends im Dunkeln gelaufen. Seine Zeichnung wirkt in der Ausführung sehr stringent und zeigt nur eine Korrektur in Form von Neuansetzen des Markers. Sie weist wenig Details und eine sicherer Strichführung auf. Auf dem Blatt Papier ist die Zeichnung zentral angefertigt worden. Im Vergleich zu den anderen ist sie die kleinste.
Korrekt eingeschätzt wurde der Streckenabschnitt um den See, der die Hälfte des Rundgangs ausmacht. Die extreme folgende Kurve, die von den ersten drei Probanden fälschlicherweise aufgegriffen wurde, findet bei Marco keine Umsetzung. Der Berg ist nicht erkennbar und wurde möglicherweise in der Zeichnung gar nicht umgesetzt. Wie Nadja hat er eine der scharfen Kurve wahrgenommen.
Zusammenfassend hat Marco seine Zeichnung auf das wesentliche reduziert, dennoch ist sie äußerst treffend und weist viele der markanten Punkte korrekt auf. Im Vergleich zu der tatsächlichen Route fällt die enorme Ähnlichkeit einzelner Verhältnisse auf, obwohl Marco die Route im Dunkeln gelaufen ist. Seine Skizze ist der Originalen am Ähnlichsten.
Für den Loop hat Marco 21 Minuten benötigt.
See
Berg
scharfe Kurve
3.2 – ERGEBNISSE, ANALYSE & AUSWERTUNG
Schritt 2 // Sprachaufnahmen in Zeit- und Meterangaben
Exakt zwei Wochen, nachdem jeder einzelne die Route gelaufen ist, wurden die Teilnehmer aufgefordert, zwei Sprachaufnahmen zu machen. Die erste soll eine Wegbeschreibung in Meterangaben der gelaufenen Route sein, die zweite in Zeitangaben. Damit soll getestet werden, inwiefern die beschriebene Route aus der Erinnerung heraus der originalen ähnelt oder abweicht und welche Details in guter Erinnerung geblieben sind, welche in schlechter. Jeder Außenstehende soll verstehen, wie der Weg verlaufen ist, daher sollte die Beschreibung so genau wie möglich sein. Dabei durften keine sichtbaren und wegbegleitenden Eckpunkte wie der Klettergarten, Bänke, der Berg etc. erwähnt werden. Die Erläuterungen sollten so neutral wie möglich sein.
Alle Sprachnachrichten wurden einheitliche mit einem festgesetzten Maßstab übersetzt und zeichnerisch umgesetzt. Die Translation wurde ausschließlich von mir durchgeführt, damit die Sprachaufnahmen ohne Interpretationsspielraum gleichwertig behandelt und Ergebnisse somit vergleichbar gemacht werden können.
Sabrina
Sichtbar wird bei beiden Sprachaufnahmen, dass der See laut ihrer Beschreibung korrekterweise die Hälfte des Weges einnimmt. Anders bei ihrer gezeichneten Route – der See hat nur ein Viertel der Gesamtstrecke beansprucht. Die Angaben in Meter beschreiben einen kürzeren Wegverlauf als in Zeitangaben. Skaliert man die Translation in Metern auf die gleiche Höhe der Zeitangaben, weichen beide Routen nur minimal voneinander ab. Sie beschreiben grob denselben Weg und beinhalten dieselben Abbiegungen, teilweise auch Distanzen. Auffällig ist, dass in den Sprachaufnahmen die scharfen Kurven kurz vor dem Ziel beschrieben werden, in ihrer Zeichnung der Route aber nicht auftauchen.
Hier ist es relativ einfach eine Verknüpfung zu dem vorherigen Teilexperiment zu ziehen. Wir erinnern uns: Sabrina dachte, der Weg gehe 10 Minuten, war aber 28 Minuten unterwegs – also fast drei Mal so lang. Laut der Sprach-
aufnahmen schildert Sabrina eine Weglänge von knapp 45 Minuten und auch die Meterangaben liegen rund einen Kilometer über der tatsächlichen Länge. Schlussfolgernd zeigt sich deutlich, dass Sabrina den Loop sowohl direkt nach dem Rundlauf, als auch aus der Erinnerung heraus als einen längeren Weg empfunden hat, als er tatsächlich war. Möglicherweise steht dies in Relation zu den in dem Moment empfundenen Emotionen, der Weg wäre langwierig, monoton und langweilig. Die Methodik der vorgetäuschten Zeitangabe ist in diesem Falle positiv aufgegangen.
Lara
Bei Lara hingegen sind alle Parallelen zwischen der Zeitangabe und ihrer gezeichneten Route genauestens nachvollziehbar. Die Relationen stimmen. Auch in dieser Sprachaufnahme fallen sämtliche Details im Abschnitt hinter dem Berg total weg, genauso wie in ihrer Zeichnung. Lediglich die Wegbeschreibung in Metern weicht durch eine zusätzliche Abbiegung am Berg und sich unterscheidende Distanzen von den anderen beiden ab. Generell liegen die Angabe in Metern deutlich unter denen der Zeitangaben.
Die Wegbeschreibung in Zeitangaben unterscheidet sich von der tatsächlich gelaufenen Zeit nur um eine Minute ab und ist somit beinahe identisch. Laut der Angaben in Metern empfand Lara den Weg jedoch um rund ein Viertel kürzer. Auch hier lässt sich vermuten, dass dies mit der zeitlichen Erwartung von 60 Minuten des Rundgangs zusammenhängt. Ein weiterer Indiz für die positive Greifung der Methodik ist, dass Laras Zeichnung äußerst klein auf das Papier gebracht wurde. Daraus lässt sich interpretieren, dass ihr der Weg entgegen ihrer Erwartung relativ kurz vorgekommen ist.
Denise
Bei beiden Sprachaufnahmen scheint Denise denselben Maßstab benutzt zu haben, daher liegen beide Zeichnungen von Zeit- und Meterangaben übereinander. Auch Denise hat die Relation zwischen der Weglänge um den See herum und dem Rest in ihrer verbalen Beschreibung besser wiedergegeben – er macht etwas knapp unter die Hälfte aus. Deutlich sichtbar ist auch, dass Denise hinter dem Berg eine falsche Abbiegung gewählt hat – sie geht in ihren Gedanken nach rechts statt nach links, weswegen das Ende ihrer Wegbeschreibung sich vom Zielpunkt wegbewegt und auch ansatzweise keine geschlossene Form des Loops wiedergibt.
Sowohl die Zeit- als auch Meterangaben konnte Denise ziemlich treffend evaluieren, lediglich die Meterangaben weichen um etwa ein Viertel ab. Einen klaren Bezug zur Methodik lassen die Ergebnisse nich zu.
Nadja
Dominant ist zweifelsohne die Translation der Sprachaufnahme in Zeitangaben. Nadja beschreibt den Teilbereich der Strecke bis hinter dem Berg lediglich als ein Drittel im Gesamtverhältnis, tatsächlich sind es aber zwei Drittel. Der Wegabschnitt hinter dem Gefälle nimmt in der Beschreibung einen sehr großen Teil ein, welcher bis auf ein paar Abbiegungen sehr monoton und stumpf wirkt. Sehr kurz und knapp wirken dagegen die Meterangaben. Sie machen nur ein Drittel der Strecke im Vergleich zu den Zeitangaben aus. Diese Zeichnung ähnelt auch eher einer geschlossenen Form, welche bei den anderen beiden Umsetzung ausgeschlossen ist. In Meterangaben scheint der letztere Streckenabschnitt im Vergleich zum zeitlichen Empfinden deutlich knapper und weniger langwidrig zu
sein – um genauer zu sein ca. sieben Mal geringer. Diese Diskrepanz ist enorm.
Eingeschätzt hat Nadja ihren Laufweg in Zeit- und Meterangaben sehr gut. Es gibt nur äußerst wenig Abwei-
chungen. In Hinblick auf die angewandte Methodik lässt sich erklären, dass Nadja der geringe Laufweg in Metern besonders beim Streckenabschnitt hinter dem Berg bewusst war, er ihr aber subjektiv empfunden langwidrig vorgekommen ist. Dies steht in Bezug zu ihrer Begleitung, dem Hund. Durch Zwangspausen beim Gassigehen war Nadja zu häufigerem Stehenbleiben und Verweilen gezwungen. Diese Momente mögen sich im letzten Teilbereich vergleichsweise stark gehäuft und ihre subjektive Zeitwahrnehmung geprägt haben.
Marco
Bei Marco schlagen beide Aufnahmen denselben Weg ein und nehmen identische Abbiegungen. Auch eine falsche taucht bei beiden Aufnahmen auf. Wäre dies korrekt wiedergegeben worden, würde sich die Strecke beinahe zu einem Loop schließen. Bis auf kleine Diskrepanzen in der zeitlichen und distanzlichen Erfassung ähneln sich beide Umsetzungen aber sehr stark.
Während Marco in Begleitung rund 20 Minuten für den Weg benötigt hat, was vergleichsweise wirklich schnell war, beschreibt er die Route in seiner Sprachaufnahme als ca. 40 minütigen Weg. Daraus lässt sich schließen, dass aus seiner Erinnerung heraus ihm die Strecke doppelt so lang vorgekommen ist. Ähnlich ist es bei den Meterangaben. Zwar handelt es sich nicht um die doppelte Strecke, aber rund einen Kilometer länger kam ihm die Strecke nach zwei Wochen vor, als er sie beschreiben musste. Einen eindeutigen Rückschluss auf die Methode lässt sich nicht wirklich einfach zeigen, da ich von einem komplett gegenteiligen Ergebnis ausgegangen bin. In der Annahme, Zeit vergehe schneller in Begleitung und mit Ablenkung, als allein bei einem recht monotonen und spannungslosen Spaziergang, hat mich das Ergebnis total überrascht. Dennoch hat mich mein Research gelehrt, dass wir schöne Momente in der Rückblende mit erfüllter und langer Zeit verbinden, ereignisarme Momente mit kurzer Zeit (vgl. Kern). Möglicherweise trifft das auf Marco als Probanden zu. Seine Stimmung war zum Zeitpunkt des Experiments auch äußerst positiv. Kombiniert mit dem Faktor der Geselligkeit wären das zustimmende Indizien.